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Anna Kluczny, 2011-04-26
Bielsko-Bia³a

Jêzyk niemiecki, Artyku³y

Landeskunde im Fach Deutsch als Fremdsprache

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Landeskunde im Fach Deutsch als Fremdsprache
Anna Maria Kluczny

Der folgende Artikel besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil wird möglichst genau der Begriff ‘Landeskunde’ analysiert und besprochen. Es werden verschiedene Definitionen dieses Begriffs angegeben. Vorgestellt werden auch unterschiedliche Stellungsnahmen zu diesem Begriff und die wichtigsten Aufgaben, die die Landeskunde zu erfüllen hat. Im Folgenden werden einige Aufteilungen der Landeskunde angeführt. Ebenfalls wird der Unterschied zwischen dem Landeskundeunterricht und dem Fremdsprachenunterricht mit landeskundlichen Inhalten angedeutet und die Methoden, nach welchen das landeskundliche Wissen im Unterricht vermittelt werden kann.
Der dritte Teil ist der Aufteilung landeskundlicher Inhalte und Kriterien dieser Aufteilung gewidmet. Anschließend werden auch die Ebenen aufgezählt und besprochen, auf denen die Angemessenheit landeskundlicher Inhalte für den Fremdsprachenunterricht überprüft werden kann.
Zum Schluss wird der Begriff des Alltags geklärt. Dargestellt wird die Rolle des Alltagswissens im Fremdsprachenunterricht mit landeskundlichen Inhalten. Berührt wird auch das Problem der Art und Weise, auf welche der Alltag im Unterricht behandelt werden sollte.

1.1. Begriff, Inhalt und Aufgaben der Landeskunde
Es ist nicht leicht, eine kurze Definition der Landeskunde zu geben. Die Ursache dafür liegt wahrscheinlich darin, dass der Begriff ganz unterschiedlich verstanden oder sogar gegensätzlich interpretiert wird, und dass, wie HEYD (1991: 47) meint, jede Definition Anlass zur Kritik wird. „Dabei liegen die Meinungen darüber, was in den Begriff der Landeskunde einzuschließen wäre und was Landeskunde eigentlich bezweckt, weit auseinander.” Deswegen werden in diesem Kapitel verschiedenste Klärungen dieses Terminus besprochen.
Der Begriff der Landeskunde erschien erst in den 60er Jahren an der Stelle der früher benutzten Kulturkunde, die pejorativ gefärbt war, weil sie in der Hitlerzeit benutzt wurde. Der neue Terminus hat sich durchgesetzt, , weil er „(...) von fachhistorischen Assoziationen befreit, (...) von spezifischen Gesellschaften absieht und das Gemeinsame (...) unter den Bedingungen des Fremdsprachenunterrichts in den Blick nimmt.” (BUTTJES, 1995: 142). Die Definition und die Aufgaben der Landeskunde wurden innerhalb von Jahrzehnten modifiziert. Sie standen im engen Zusammenhang mit der jeweiligen Methode, die aktuell im Unterricht angewendet wurde.
SZULC (1976: 127) bezeichnet die Landeskunde als das Wissen, das der Lerner zur pragmatischen Interpretation notwendiger Fakten und Sachen benötigt. Dieses Wissen ist „(...) eine möglichst eingehende Kenntnis derjenigen außersprachlichen Wirklichkeit, auf die sich die Sprachtätigkeit bezieht (...)”. Die Aufgabe der pragmatischen Interpretation besteht, wie er weiter schreibt, in der Aufklärung der Beziehung zwischen dem Bezugsobjekt und dem Empfänger der Information.
Von HEYD (1991: 47) wird die Landeskunde von einem anderen Standpunkt aus betrachtet. Sie versteht nämlich unter dem Begriff ‘Landeskunde’ alle möglichen Informationen über ein bestimmtes Land, über seine Einwohner, seine politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten und über die Entwicklung des Landes. Nach der Meinung von HEYD besteht die Aufgabe der Landeskunde darin, dass sie Kenntnisse vermittelt, die einerseits der Lerner zur Verwendung der fremden Sprache als Kommunikationsmittel und zum Sichbehaupten im fremden Lande benötigt, und die andererseits dem Lerner zum besseren Verständnis des Landes und seiner Einwohner dienen. Damit stimmt MELENK (1988: 178) überein, indem er schreibt, dass es sich dabei um Kenntnisse aller Art handelt: „(...) die Gesellschaftsstruktur, das Alltagsleben, die Politik und die Wirtschaft, die Geographie und Geschichte, die Kultur eines Landes.”
Der Meinung von HEYD schließt sich ebenfalls BUTTJES (1995: 142) an. Die Landeskunde umfasst nach ihm „(...) alle Bezüge auf die Gesellschaft(en), deren Sprache im Fremdsprachenunterricht gelernt wird”. Sie ist ein Mittler zwischen den Kulturen. Ihre Aufgabe sieht BUTTJES in der Ver-mittlung vom Wissen über die fremden Kulturen und im Abbau von Vorurteilen.
Die Autoren des Mannheimer Gutachtens ENGEL/KRUMM/ WIERLACHER (1979, zit. nach HEYD, 1991: 55) betrachten dagegen die Landeskunde als eine Umfeldkunde. Die so verstandene Landeskunde hat eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Danach sollte die Umfeldkunde den Lerner u. a. zum selbstbewussten Argumentieren befähigen.
Aus allen oben erwähnten Definitionen der Landeskunde lässt sich schließen, dass es durchaus schwierig ist, eine einheitliche Klärung dieses Terminus zu geben. Selbst der Begriff ‘Landeskunde’ gibt vielen Didaktikern Anlass zur Kritik. Auch bei der Bestimmung der Aufgaben der Landeskunde scheinen die Sprachdidaktiker uneinig zu sein, bis auf den Punkt, dass die Landeskunde alle möglichen Informationen über das Zielland und seine Gesellschaft vermitteln soll. Sowohl HEYD (1991: 47) als auch ICKLER (1984: 32) sehen in der Landeskunde einen unentbehrlichen und gleichzeitig einen umstrittenen Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts.

1.2. Vermittlungsverfahren und Aufteilung der Landeskunde
Im folgenden Kapitel werden verschiedene Aufteilungen der Landeskunde angegeben. Kriterien dieser Aufteilungen sind oft Methoden, nach denen die Landeskunde im Fremdsprachenunterricht vermittelt werden kann.
Da die Landeskunde als ein uneinheitlicher Begriff schwer definierbar ist, wundert es niemanden, dass es auch schwierig ist, eine einzige durchaus richtige Aufteilung der Landeskunde zu geben. Die Ursache dafür liegt auch darin, dass die Sprachdidaktiker sogar über die Kriterien der Aufteilung keine Einigung erzielt haben.
Von SZULC (1976: 126ff.) wird die Landeskunde in zwei Unterabteilungen gegliedert, und zwar in:
• Kulturkenntnisse: Literatur, Geschichte, Kunst;
• Sachkenntnisse: Staatsform, Wirtschaft, soziale Einsicht.
Dagegen teilt DEUTSCHMANN (1982, zit. nach ICKLER, 1984: 32) die Landeskunde in zwei andere Teile auf:
• in die informationsbezogene Landeskunde (z. B. Institutionenkunde);
• und in die handlungsbezogene Landeskunde.
Bei der letzteren handelt es sich um ein sehr praktisches Wissen, z. B. wo man günstig Einkäufe macht. Es ist aber kaum möglich, die landeskundlichen Informationen eindeutig der einen oder der anderen Gruppe zuzuordnen, „(...) weil jedes Wissen u. U. handlungsrelevant sein kann.”
KASKI (1979: 314f.) differenziert diesen Begriff in zwei integrierte Bestandteile:
• die immanent-permanente Landeskunde:
wenn die Lehrbuchtexte das Alltagsleben in den deutschsprachigen Ländern wiederspiegeln;
• die systematische und zielbewusste Vermittlung von landeskundlichen Informationen.
Gleichzeitig macht diese Gliederung den Unterschied zwischen dem Landeskundeunterricht und dem Fremdsprachenunterricht mit landeskundlichen Inhalten deutlich.
Vermittlungsverfahren als Kriterien der Aufteilung der Landeskunde werden von ICKLER (1984: 32) angenommen. Seiner Ansicht nach verfügt jeder Einheimische über ein landeskundliches Wissen, das er aber eher als Hintergrundwissen besitzt. Das bedeutet, dass dieses Wissen selten abgerufen werden kann. Die Aufgabe des Unterrichts besteht also darin, das im Hintergrund stehende Wissen in den Vordergrund zu rücken. „Dieser Weg über das Bewusstmachen wird auch ‘explizite’ oder ‘kognitive’ Landeskunde genannt.” Es gibt viele Bereiche des landeskundlichen Wissens, die fast nur auf diesem Weg mitgeteilt werden können. Es handelt sich dabei um die sog. Institutionenkunde. Eine andere Art der Vermittlung der Landeskunde sind ‘implizite’ Vermittlungsverfahren. Der Lerner soll aus möglichst authentischen Texten aller Art die landeskundlichen Informationen herausholen.
Die Aufteilung von GRAWE (1987: 461-472) umfasst zugleich Vermittlungsverfahren und Inhalte der Landeskunde. GRAWE meint, dass unter der Landeskunde drei verschiedene Forschungs- und Lehrbereiche verstanden werden:
1. Zuerst wird die Landeskunde als inhaltliches Element des Fremdsprachenunterrichts betrachtet. Sie wird auf indirekte Weise vermittelt. Ihr Ziel besteht u. a. darin, „(...) der tatsächlichen Begegnung der fremden Deutschstudenten mit den deutschsprachigen Ländern vorzuarbeiten oder sie verständnisfördernd zu begleiten.” (GRAWE, 1987: 461). Dementsprechend zieht diese Landeskunde das Aktuelle dem Historischen und das Faktische dem Nicht-Faktischen vor. Sie hat aber zwei Nachteile: erstens stellt sie eine willkürliche und auf ein Minimum beschränkte Auswahl landeskundlicher Themen dar und zweitens wird sie in Kleinigkeiten dargeboten.
2. Der zweite Ansatz der Landeskunde vermittelt sachliche historische und aktuelle Informationen über das fremde Land auf direkte Weise. Auch hier wird das Aktuelle dem Historischen vorgezogen. Die Aufgabe dieser Landeskunde ist, „(...) den Zusammenhang der verschiedenen Bereiche und Aspekte einer Zivilisation einsichtig zu machen.” (GRAWE, 1987: 463). So bietet GRAWE dar, den Terminus ‘Länderkunde’ statt des Begriffs ‘Landeskunde’ zu verwenden, weil alle deutschsprachigen Länder dabei gleichmäßig berücksichtigt werden sollten.
3. Der dritte Typ der Landeskunde wird auf indirekte Weise vermittelt. Es geht dabei „(...) um die Erschließung eines Kulturgefüges durch die Analyse von Dichtung” (GRAWE, 1987: 465). GRAWE findet dabei den Begriff ‘Landeskunde’ ungeeignet für diesen Ansatz und ist für seine Ersetzung durch den Terminus ‘Kulturkunde’.
Aus den oben genannten Aufteilungen und Vermittlungsverfahren lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass es viele verschiedene Gliederungen der Landeskunde gibt. Die Anzahl der Methoden, nach welchen das landeskundliche Wissen vermittelt wird, scheint aber nur auf zwei Hauptmethoden begrenzt zu werden. Die Landeskunde kann auf direkte oder auf indirekte Weise unterrichtet werden, d.h. in Form vom Landeskundeunterricht oder in Form von landeskundlichen Inhalten, die im Fremdsprachenunterricht behandelt werden.

1.3. Aufteilung landeskundlicher Inhalte
Beim Erlernen einer Fremdsprache sollen auch landeskundliche Inhalte berücksichtigt werden. Es erheben sich zugleich die Fragen, welche landeskundlichen Inhalte für den Lerner von Bedeutung sein können, welche nur zu erwähnen sind, an welchen man vorübergehen kann und welche Informationen sehr genau im Unterricht analysiert und besprochen werden müssen. In diesem Kapitel wird versucht, auf diese Fragen möglichst ausreichende Antwort zu geben.
ICKLER (1984: 33ff.) behauptet, dass es fraglich ist, ob über die Aufteilung landeskundlicher Inhalte eine Einigkeit erzielt werden kann. Der Grund dafür liegt seiner Meinung nach darin, dass die Landeskunde nicht systematisierbar ist. Die Auswahl landeskundlicher Themen ist umfangreich. Die Themenlisten umfassen eine Unmenge von Teilbereichen, vom Alltagsleben, Essgewohnheiten bis zur Kunstgeschichte und Lyrik. Die aus-gewählten Themen sollten den Interessen der Lerner entspre-chen und den Vergleich mit der Kultur des eigenen Landes voraussetzen. Wie ICKLER schreibt, muss hier ein sachlich und pädagogisch vertretbarer Mittelweg gefunden werden. Im Mittelpunkt der Landeskunde sollten nicht die Kunst und die Wissenschaften stehen, sondern der sogennante Alltag.
Nach BUTTJES (1995: 146) zeichnet sich kein verbindlicher Kanon landeskundlicher Inhalte ab, „(...) so kann doch die jeweilige Auswahl innerhalb eines landeskundlichen Curriculums nicht als beliebig anzusehen sein. (...) Die Angemessenheit landeskundlicher Inhalte lässt sich auf folgenden Ebenen überprüfen (...)”:
1. Realitätsebene:
Die gewählten Sachverhalte sollten dem historischen Entwicklungsstand und der sozialen Differenzierung der fremden Gesellschaft entsprechen.
2. Konkretionsebene:
Die gewählten Stoffe sollten in der fremden Umwelt erkennbar und als nachvollziehbare Erfahrung sprachlich geäußert sein.
3. Transferebene:
Die gewählten Inhalte sollten auch in den anderen Gesellschaften und in der eigenen Umwelt vorgefunden werden.
4. Identifikationsebene:
Die gewählten Themen sollten auf Bereiche kultureller Differenz und kultureller Kontakte verweisen.
KRUSCHE (1989: 14) meint, dass jeder Lehrer selbst die Themen für den Fremdsprachenunterricht mit landeskundlichen Inhalten wählt. Er sammelt den Stoff, sichtet ihn, veranschaulicht und strukturiert. Er trifft diese Wahl anhand seiner Erfahrung, seiner persönlichen Meinung darüber, was wichtig ist, was für den Lerner von Interesse sein kann, usw.
Dagegen wählen ENGEL/KRUMM/WIERLACHER (1979, zit. nach HEYD, 1995: 55) landeskundliche Stoffe nach folgenden Kategorien:
- wie Leute wohnen,
- wie sie arbeiten,
- wie sie sich erholen,
- wie sie sich bilden,
- wie sie miteinander in Kontakt treten,
- wie sie am öffentlichen Leben teilnehmen.
Eine ähnliche Aufteilung landeskundlicher Informationen gibt AMMER (1994: 34) an. Er systematisiert landeskundliche Inhalte über Deutschland folgendermaßen:
• Die Bundesrepublik Deutschland - Land und Nation
• Staat und Politik
• Wirtschaft
• Gesellschaft
• Kunst und Wissenschaft
• Das Alltagsleben in Deutschland
Einige von den oben genannten Punkten werden von AMMER weiter untergliedert:
I. Die Bundesrepublik Deutschland - Land und Nation
I.1. Internationale Beziehungen
I.2. Geographie
I.3. Geschichte
II. Staat und Politik
II.1. Strukturprinzipien des Staates - Staatsform
II.2. Staatsorgane - Verwaltung - Machtmittel
II.3. Politische Inhalte - Parteien und Politiker
II.4. Bildungswesen
II.5. Verhältnis des Staates zum Bürger
III. Wirtschaft
IV. Gesellschaft
V. Kunst und Wissenschaft
V.1. Wissenschaft und Technik
V.2. Die Künste
VI. Das Alltagsleben der Deutschen
VI.1. Arbeit - Einkommen/Auskommen
VI.2. Familie
VI.3. Wohnen
VI.4. Essen und Trinken
VI.5. Freizeit
VI.6. Charakteristika der Deutschen
Hiergegen ist CHEE (1997: 173) der Meinung, dass landeskundliche Materialien nach zwei Kriterien ausgewählt werden sollen: Kontrastivität (Unterschiede zwischen dem Eigenen und dem Fremden) und Parallität (Ähnlichkeiten zwischen den Kult-ren). Dementsprechend lassen sich im Hinblick auf diese Prinzipien drei wichtige Themenbereiche unterscheiden:
- Gewohnheiten des Alltagslebens
- Institutionen
- Sprache und Literatur.
Weiter schreibt CHEE über vier Ebenen, auf denen Einsichten und Erkenntnisse des Fremdsprachenunterrichts in kommunikatives Handeln umgesetzt werden, und zwar:
- Ebene des Alltagslebens (dazu gehören solche Themen wie z. B. Freizeit, Schule, Familie)
- Ebene gesellschaftlicher Rahmenbedingungen (darunter sind zu nennen: Gewerkschaften, Medien)
- Ebene jugendspezifischer Themen und Probleme (Partnerschaft, Drogen, Jugendkultur)
- Ebene zukunftsbedeutsamer Themen von globaler Relevanz (Friedenssicherung, technologischer Wandel, u. Ä.)
Von einem anderen Standpunkt aus wird dieses Problem von HEYD (1991: 53) betrachtet. Sie behauptet, dass die Auswahl landeskundlicher Informationen einerseits mit den Definitionen der kommunikativen Lernziele zusammensteht, und andererseits von allgemeinpädagogischen Zielsetzungen des Fremdsprachenunterrichts abhängt. Auch die Aufgaben der Landeskunde und Interessen der Lernenden sollten bei der Auswahl landeskundlicher Inhalte beachtet werden.
Es wird festgestellt, dass es schwer ist, einen einheitlichen Katalog landeskundlicher Themen für den Unterricht zu entwerfen. Jeder Katalog scheint nur als ein Versuch gedacht zu sein, der zur weiteren Diskussion Anlass geben soll. Infolge der Diskussion sollen solche Themenlisten erstellt werden, in denen die Differenzierung des Materials nach Lernstufen und Zielgruppen berücksichtigt wird, und in die solche Themen einbezogen werden, die ebenfalls Interessen der Lerner entsprechen. Nach MELENK (1988: 179) sollten landeskundliche Inhalte so elementarisiert werden, „(...) dass beim Lerner ein strukturiertes, ausbaufähiges Wissen entsteht.”

1.4. Zur Bedeutung des Alltagswissens
Eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des landeskundlichen Wissens im Fremdsprachenunterricht spielt nach ICKLER (1984: 35) der Alltag. In den 60er und 70er Jahren konzentrierte sich die Landeskunde auf die Leistungen der Kunst und der Wissenschaften, die als die besten „Botschafter” des eigenen Landes angesehen wurden. In den 80er Jahren ist der Alltag in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Infolgedessen hat sich die Gestaltung der meisten Lehrwerke geändert, indem in ihnen der vom Alltag bestimmte Lehrstoff auftritt. Weiter schreibt ICKLER, dass der Alltag in Lehrwerken vollkommen realistisch präsentiert werden muss. Realistisch bedeutet aber nicht lang-weilig, weil der wirkliche Alltag der Menschen überhaupt nicht langweilig ist.
Der Alltag wird vom Lerner in Form des Alltagswissens erworben. Dieses Wissen hat laut MELENK (1988: 188) „(...) einen Bezug zur Lebenswelt und zum praktischen Handeln; es ist egozentrisch und auf Personen und Beziehungen hin orientiert; es hat einen geringen Spezialisierungsgrad (...); es ist variabel und zur Aufnahme neuer Inhalte fähig.” Der Begriff des Alltagswissens lässt sich, so weiter MELENK, keineswegs einfach definieren. Dabei ist u. a. die Forderung nach der Aktualität zu nennen, d.h., dass neue Inhalte ständig aufgenommen und verarbeitet, und Themen sowie Materialien immer wieder aktualisiert werden müssen.
Hiermit taucht eine für die Landeskundedidaktik grundsätzliche Frage auf, welches Alltagswissen die Basis des Fremdsprachenunterrichts mit landeskundlichen Inhalten sein sollte. Nach MELENK (1988: 188f.) geht es nicht nur um das Alltagswissen des Lerners, sondern vielmehr um das Alltagswissen eines typischen Individuums im Zielland. Dieses Wissen sollte der Lerner selbst nicht erwerben, sondern die Grundelemente des Alltagswissens müssen dem Lerner ausreichen, um bei ihm ein Verständnis für die Differenz der Perspektiven zu entwickeln.
PICHT (1995: 69f.) behauptet, dass das Alltagswissen die Brücke zwischen dem Eigenen und dem Fremden bilden sollte. Unter dem Alltagswissen versteht er solche Themen wie: Essen, Wohnen, Liebe und Streit. Er gibt auch Hinweise, wie das Alltagswissen am besten zu vermitteln ist, und zwar lernerzentriert und altersspezifisch. Seines Erachtens nach sollte der Lerner „(...) ausgehend von der eigenen Lebenserfahrung Eingang in die hinter andersartigen Erscheinungsformen sich befindende gar nicht so fremde Lebenswelt der anderen Kul-tur gewinnen.” Weiter stellt er fest, dass in den Alltagssituationen eine hohe Komplexität des Zusammenwirkens verschiedener Faktoren, d.h. historischer, kultureller und ökonomischer, zu beobachten ist. Der Alltag ist also nichts Alltägliches, wie es scheinen könnte. Gerade weil er so spontan, willkürlich und nicht durchdacht verläuft, schließt er in sich die ganze Komplexität unbewusster kultureller Beziehungsgeflechte ein.
Die Gewohnheiten des Alltagslebens gehören nach CHEE (1997: 173f.) zu den drei Grundbereichen des Themenkatalogs für den landeskundeorientierten Fremdsprachenunterricht. Darunter versteht er u. a. solche Themen wie: Freizeit und Schule. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Bereich, wie er weiter schreibt, Feste, weil in ihnen Überlieferungen, nationale Eigenschaften und Bräuche anschaulich vermittelt werden. Seiner Meinung nach fällt es dabei am leichtesten, „(...) Gewohnhei-ten zu vergleichen, Gemeinsames zu entdecken, zu differenzieren oder gänzlich Neues im Leben der Zielkultur zu entdecken.” (CHEE, 1997: 174). Und wie PICHT (1995) fordert auch er die altersspezifische und lernerzentrierte Vermittlung des Alltagswissens. Als Beispiel nennt CHEE den Themenkatalog für den Englischunterricht der Jahrgangsstufe 5/6 an nordrhein-westfälischen Gymnasien unter dem Primat „Orientierung für das Leben im Alltag”, in dem folgende Themen aufgelistet werden: Familienleben, Freizeitgestaltung im Familien- und Freundeskreis, die alltägliche Lebenswelt, Begegnung mit geschichtlichen Persönlichkeiten und Ereignissen sowie grundlegender geografischer Überblick über Großbritannien und die Vereinigten Staaten.
Die Erstellung eines einheitlichen und einzigen Themenkatalogs im Bereich des Alltagswissens scheint keineswegs einfach zu sein. Doch dass solche Themen im Fremdsprachenunterricht erscheinen sollen, ist nicht umstritten. Dementsprechend müssen die Didaktiker entscheiden, welcher Teil des Alltagswissens im Unterricht zu berücksichtigen ist, welcher nur kurz zu erwähnen ist und welcher Bereich kaum eine Rolle spielt. Bei der Entwerfung eines Themenkatalogs für den Fremdsprachenunterricht im Bereich des Alltagswissens dürfen sie die Person des Lerners, seine Lebenserfahrung, sein Interesse, sein Alter und seine Lernstufe nicht übersehen.

LITERATURVERZEICHNIS:
1. AMMER, R. (1994): Das Deutschlandbild in den Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache. In: Zur Analyse, Begutachtung und Entwicklung von Lehrwerken für den fremdsprachlichen Deutschunterricht, (Hg.) Kast, B. / Neuner, G., Langenscheidt, Berlin und München, S. 31-42.
2. BIECHELE, B. (1996): Bilder als Kommunikate und Lernmedien im Fremdsprachenunterricht / DaF. In: Info DaF 23, 6/1996, S. 746-757.
3. BUTTJES, D. (1995): Landeskunde-Didaktik und landeskundliches Curriculum. In: Handbuch Fremdsprachenunterricht, (Hg.) Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J., UTB Francke Verlag, Tübingen und Basel, S. 142-149.
4. CHEE, H.-M. (1997): Interkultureller Landeskundeunterricht. Grundsätze und praktische Empfehlungen am Beispiel Englisch, fsu 41/50, S. 173-175.
5. FIRGES, J. / MELENK, H. (1995): Landeskundliches Curriculum. In: Handbuch Fremdsprachenunterricht, (Hg.) Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J., UTB Francke Verlag, Tü-bingen und Basel, S. 513-517.
6. FISCHER, G. (1979): Der landeskundliche Aspekt bei der Behandlung literarischer Texte im Deutschunterricht für Fortgeschrittene - Erläuterung eines Beispiels. In: Moderner Sprachunterricht - Lehrerbildung und Lehrerfortbildung, VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig, Leipzig, S. 310-314.
7. GRAWE, CH. (1987): Die kulturanthropologische Dimension der Landeskunde: Zu Verständnis und Kritik des Landeskundebegriffs. In: Perspektiven und Verfahren interkultureller Germanistik. Akten des I. Kongresses der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik, iudicium verlag, München, S. 459-467.
8. HEYD, G. (1991): Deutsch lehren. Grundwissen für den Unterricht in DaF, Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt/M.
9. HEYD, G. (1997): Aufbauwissen für den Fremdsprachenunterricht (DaF). Ein Arbeitsbuch. Kognition und Konstruktion, Gunter Narr Verlag, Tübingen.
10. ICKLER, T. (1984): DaF. Eine Einführung in das Studium, Max Niemeyer Verlag, Tübingen.
11. KASKI, K. (1979): Bericht über das finnische Landeskunde-Projekt und das dabei entstehende Landeskunde-Material. In: Moderner Sprachunterricht - Lehrerbildung und Lehrerfort-bildung, VEB Verlag Enzyklopädie Leipzig, Leipzig, S. 314-316.
12. KRUSCHE, D. (1989): Zur Hermeneutik der Landeskunde, Jahrbuch DaF 15/89, S. 13-29.
13. MELENK, H. (1988): Die Landeskunde und ihre Bezugswissenschaften. In: Die Beziehung der Fremdsprachendidaktik zu ihren Referenzwissenschaften. Dokumente und Berichte vom 12. Fremdsprachendidaktiker-Kongress, (Hg.) Doye, P. / Heuermann, H. / Zimmermann, G., Gunter Narr Verlag, Tübingen, S. 178-192.
14. PICHT, R. (1995): Kultur- und Landeswissenschaften. In: Handbuch Fremdsprachenunterricht, (Hg.) Bausch, K.-R. / Christ, H. / Krumm, H.-J., UTB Francke Verlag, Tübingen und Basel, S. 66-73.
15. SEGERMANN, K. (1983): Landeskunde in fremdsprachlichen Unterrichtsmaterialien. In: Beiträge zur Landeskunde im Fremdsprachenunterricht, (Hg.) Raasch, A., Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt/M., S. 130-143.
16. SZULC, A. (1976): Die Fremdsprachendidaktik. Konzeptionen-Methoden-Theorien, PWN, Warszawa, S. 123-131.
17. THIMME, CH. (1995): Interkulturelle Landeskunde. Ein kritischer Beitrag zur aktuellen Landeskunde-Diskussion, Zeitschrift DaF 3/95, S. 131-137.
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